Drei Nächte Wind. Río Gallegos. Und ein Schiffswrack im Morgenlicht.

Río Gallegos liegt weit unten im Süden Argentiniens. Sehr weit.Und spätestens hier merkt man: Patagonien meint es ernst.
Ich wusste, dass es windig wird.
Ich hatte es gelesen, gehört, einkalkuliert.
Aber zu erleben, was Wind wirklich kann – das ist noch einmal etwas anderes.
Möhre wurde schon einige Male kräftig durchgeschüttelt und gerüttelt. Der Wind pfiff durch die Dachfenster, diese Dauerlüftungen, die sonst so sinnvoll sind – hier wurden sie zu kleinen Lautsprechern des Sturms.
Es ist ein permanentes Rauschen, Dröhnen, Pfeifen. Etwas, das nicht aufhört.
Die Stürme hier sind ein bisschen demütigend.
Es wird laut. Und eindrucksvoll.
Je weiter man nach Süden kommt, desto windiger wird es. Das weiß man.
Aber zu spüren, wie kraftvoll Natur ist, wenn sie ungebremst auftritt, wenn sie keinen Umweg nimmt und keine Rücksicht – das ist noch einmal eine ganz andere Lektion.
Wenn der Wind das Kommando übernimmt
Der Sturm kam nicht schleichend.
Er war einfach da.
So stark, dass Weiterfahren keine gute Idee war. Also stellte ich mich an den Rand der Stadt – an eine Tankstelle, geschützt durch eine große Halle. Dort stand ich mit Möhre nicht allein. Andere Camper hatten dieselbe Entscheidung getroffen.
Drei Nächte lang.
Im Windschatten war es erstaunlich ruhig. Fast friedlich.
Doch kaum verließ man diesen Schutz, hatte man das Gefühl, gleich abzuheben.
Unfassbar, diese geballte Kraft.
Wind ist hier kein Wetter – er ist Zustand.
Río Gallegos – unspektakulär und genau deshalb ehrlich
Nach drei Tagen Verstecken wurde es ruhiger.
Nicht still, aber fahrbar.
Ich habe mir Río Gallegos angeschaut.
Die Stadt ist nicht touristisch. Keine Postkartenmotive, keine Inszenierung.
Eine Einkaufsstraße, ein paar schöne Häuser, eine lange Strandpromenade am Atlantik.
Alles wirkt einheimisch, bodenständig, ehrlich.
Nichts Besonderes – und gerade deshalb sympathisch.
Eine Stadt, die nicht gefallen will.
Atlantikküste, Wind und trockene Wäsche
Am späten Nachmittag bin ich noch ein paar Kilometer weitergefahren – Richtung Atlantikküste.
Ziel: ein altes Schiffswrack, das ich von Bildern kannte.
Ich wollte es unbedingt bei Sonnenaufgang sehen.
Ein paar Kilometer davor habe ich Möhre in einer kleinen Absenkung abgestellt.
Windschutz ist hier alles.
3,5 Kilometer bis zum Wrack – das klang machbar.
Am Abend spannte ich an einem alten Aussichtspunkt eine Wäscheleine. Die zuvor gewaschene Wäsche hing keine zwei Stunden draußen – dann war sie trocken.
Wind, trockene Luft, Patagonien eben.
Praktisch, wenn man reist. Und beeindruckend, wenn man innehält.
Sonnenaufgang und rostiges Schweigen
Der Wecker klingelte früh. Sehr früh.
Und trotzdem war es um fünf Uhr bereits hell. Ich war überrascht.
Mit Möhre fuhr ich die letzten Kilometer bis zum Schiffswrack.
Die Straße: unbefestigt, staubig, typisch argentinisch.
Und dann stand ich davor.
Dieses Wrack.
Rostig. Monumental. Still.
Dramatische Wolken zogen über den Himmel, der Atlantik lag weit und offen dahinter.
Ich habe fotografiert, geschaut, geschwiegen.
Es war kein großer Moment.
Aber ein guter.
Das Schiffswrack von Punta Loyola – die Marjory Glen
Das rostige Schiffswrack an der Atlantikküste bei Río Gallegos ist kein namenloses Relikt.
Es handelt sich um die „Marjory Glen“, eine britische Dreimastbark aus Stahl, die einst die Weltmeere befuhr.
Gebaut wurde sie 1892 in Glasgow, eingesetzt im internationalen Handel – unter anderem für Kohle und Getreide.
Im Jahr 1911 geriet das Schiff vor der patagonischen Küste in einen schweren Sturm. Um Mannschaft und Ladung zu retten, wurde die Marjory Glen absichtlich nahe der Küste auf Grund gesetzt. Die Crew überlebte – das Schiff jedoch nicht.
Seitdem liegt es hier.
Wind, Salz und Zeit haben es geformt, zerlegt, freigelegt.
Heute ist nur noch das skelettartige Gerüst übrig – ein stilles Denkmal an die raue Seefahrt vergangener Zeiten.
Warum dieser Ort so besonders ist
Was diesen Ort ausmacht, ist nicht nur das Wrack selbst, sondern die Umgebung:
der offene Atlantik, der ungebremste Wind, der endlose Himmel.
Je nach Licht wirkt das Schiff monumental, verloren, fast surreal.
Besonders bei Sonnenauf- oder -untergang entstehen diese dramatischen Bilder, für die der Ort so bekannt ist.
Und gleichzeitig ist hier nichts inszeniert.
Kein Zaun. Kein Ticket. Kein Souvenirshop.
Nur Wind, Meer und rostender Stahl.
Zurück in den Windschatten – und weiter nach Süden
Danach ging es zurück Richtung Río Gallegos.
Wieder zur vertrauten Tankstelle.
Ein letzter sicherer Ort, bevor es weitergeht.
Morgen fahre ich Richtung Ushuaia.
Über die chilenische Grenze.
Dafür stehen noch ein paar Vorbereitungen an: Schuhe putzen, Kühlschrank ausräumen, Ordnung schaffen. Chile ist streng – und das ist auch gut so.

Irgendwo zwischen Traum und Abenteuer, auf den Straßen der Freiheit. Mit meinem treuen LKW
entdecke ich atemberaubende Landschaften, begegne spannenden Menschen und lasse mich von
neuen Kulturen inspirieren. Die Welt ist groß, und jede Reise birgt unzählige Geschichten,
die nur darauf warten, erzählt zu werden.